Jeder junge Migrant muss sich Zukunftsperspektiven aufbauen können, sei es in der Schweiz, in seinem Herkunftsland oder anderswo. Welche Rolle spielen Fachpersonen bei der gesellschaftlichen oder schulischen Integration?
Von Elodie Antony, Allianz für die Rechte der Migrantenkinder, Genf
Seit zehn Jahren engagiert sich in der Allianz für die Rechte der Migrantenkinder[1] ein Netzwerk, das sich aus Organisationen, Fachleuten und Freiwilligen zusammensetzt. Die Mitglieder tauschen Informationen und Erfahrungen aus, nehmen regelmässig Stellung zu aktuellen Themen in Zusammenhang mit der Situation von migrierenden Kindern in der Schweiz und organisieren Begegnungen. Die Rolle von Fachpersonen bei der Integration wird beim nächsten nationalen Symposium[2] und im vorliegenden Artikel aus juristischer, gesellschaftlicher, gesundheitlicher, schulischer und partizipativer Sicht betrachtet.
Es sei hier an den Kontext erinnert. Nach dem Höhepunkt des Migrationsphänomens 2015 nimmt die Anzahl Asylgesuche seit zwei Jahren kontinuierlich ab. Diese Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit der europäischen Migrationspolitik, insbesondere mit der Schliessung der Balkanroute und der zunehmenden Abschottung der Grenzen.[3] Dieser Rückgang betrifft auch migrierende Kinder und Jugendliche, namentlich unbegleitete Minderjährige (UMA), das heisst Kinder unter 18 Jahren, die ohne ihre Eltern oder ihren gesetzlichen Vertreter migrieren.
Die aktuelle Lage zeigt, dass die von den Kantonen 2015 und 2106 unternommenen Anstrengungen zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms heute infrage gestellt werden oder gar überholt sind. Denn während immer weniger UMA in unserem Land ankommen, nimmt die Zahl ehemaliger UMA zu, das heisst derer, die als Minderjährige angekommen und inzwischen volljährig sind. So sind etwa 60 Prozent der Asylsuchenden jünger als 26 Jahre alt, unter ihnen viele UMA oder ehemalige UMA.[4] Die meisten von ihnen werden dauerhaft in der Schweiz bleiben, was eine unabdingbare Unterstützung bei ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Integration bedeutet.
Eine langfristig ausgerichtete Begleitung
Eine geringe Anzahl junger Migranten kann ins klassische Bildungssystem – nachobligatorische Schule oder Berufslehre – integriert werden, viele besitzen aber nicht das nötige Rüstzeug für eine berufliche Eingliederung gleich nach ihrer Ankunft. Es lassen sich zwei verletzliche Gruppen unterscheiden: solche mit wegen der Migration unterbrochener oder abgebrochener Schullaufbahn und solche, die im Herkunftsland nie zur Schule gegangen sind. Dasselbe gilt für die gesellschaftliche Eingliederung: Einige Jugendliche sind in der Lage, das sie umgebende Netzwerk zu mobilisieren, andere leiden unter starker Isolation.
Die Begleitung junger Migranten beim Übergang in die Volljährigkeit stellt somit eine grosse Herausforderung dar. In diesem Sinne empfiehlt die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren den Kantonen, dass sie Betreuungsleistungen zur sozialpädagogischen Nachbegleitung von UMA schaffen, die diesen über die Volljährigkeit hinaus unter Umständen bis 25 Jahre zugutekommen, das heisst «bis zum Abschluss der Erstausbildung bzw. bis zum Erreichen der Fähigkeiten, welche für eine autonome Lebensführung erforderlich sind»[5]. Eine solche Vorbereitung auf ein selbständiges Leben wirkt sich auch positiv auf junge Menschen aus, die in ihr Herkunftsland zurückkehren oder in einem anderen Land zu ihrer Familie stossen und auch nachhaltige Zukunftsperspektiven entwickeln können müssen.[6]
Das Ziel der «Integrationsagenda»
Der Bund hat erkannt, dass aktuell Investitionen in den Integrationsbereich notwendig sind. Die Integrationsagenda, die 2019 in Kraft tritt, beabsichtigt eine nachhaltige Integration junger Migranten. Die Schweiz hat sich damit namentlich zum Ziel gesetzt, dass zwei Drittel der vorläufig aufgenommenen jungen Flüchtlinge Zugang zur nachobligatorischen Bildung erhalten. Zudem soll die gesellschaftliche, sprachliche und berufliche Integration verbessert werden. Diese Initiative kann somit fast 30'000 jungen Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren zugutekommen, die mit diesem Status in der Schweiz leben. Dennoch schliesst sie etwa 12'000 junge Menschen dieser Altersgruppe aus, die derzeit den Status von Asylsuchenden (Ausweis N) haben, obwohl die Hälfte von ihnen wohl in der Schweiz wird bleiben können.[7]
Um diese Ziele zu erreichen, muss die Begleitung von jungen Migranten unbedingt über ihre Volljährigkeit hinaus verstärkt werden. Nur mit einer geeigneten Nachbegleitung werden die von den jungen Menschen während ihrer Minderjährigkeit erbrachten und die von Fachpersonen getätigten Anstrengungen langfristig Früchte tragen. Eine geeignete Unterkunft, Betreuung und Nachbegleitung in den Kantonen sind die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Integration.
Vernetztes Arbeiten mit der Zivilgesellschaft
Die nationale Konferenz «Gemeinsam für eine erfolgreiche Integration»[8] bestätigte ebenfalls, dass die Integration eine Investition in die Zukunft der Schweiz und ihrer Bevölkerung ist. Sie ruft zu einer Zusammenarbeit von staatlichen Stellen und der Zivilgesellschaft auf, namentlich im Bereich der gesellschaftlichen Integration. In den letzten Jahren sind viele zivile Initiativen entstanden wie Mentoring-Projekte[9] für migrierende Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die eine konkrete Verbindung zur Aufnahmegesellschaft herstellen und als nachhaltige Praxis verankert werden sollten. Vernetztes Arbeiten, die Verbreitung von Informationen und das Teilen guter Praktiken sind somit grundlegende Bestandteile einer würdigen Begleitung von migrierenden Kindern und Jugendlichen. Sie erlauben zudem, daran zu erinnern, dass migrierende Kinder in erster Linie Kinder sind.